Erziehung eines rumänischen Straßenhundes – Unsere Tipps aus Erfahrung
Als Simba aus Rumänien zu uns kam, wussten wir: Das wird kein Spaziergang – im doppelten Sinne.
Und obwohl wir ihn nicht als „schwierigen Hund“ bezeichnen würden, gab (und gibt) es immer wieder Momente, die uns herausfordern.
Ein Hund aus dem Tierschutz bringt seine Geschichte mit. Er tickt oft ganz anders als ein Welpe aus einer kontrollierten Zucht, der von Anfang an in einem sicheren Umfeld aufgewachsen ist.
Was bei vielen „klassischen“ Hunden funktioniert – Leinenführigkeit, Hundeschule, Konsequenz – kann bei einem Tierschutzhund genau das Falsche sein.
Manche Methoden überfordern ihn. Manche Trainer:innen leider auch.
Die Erziehung eines Hundes aus dem Auslandstierschutz braucht vor allem eines:
🎯 Geduld, Fingerspitzengefühl und ein echtes Interesse daran, den Hund zu verstehen.
In diesem Artikel teilen wir offen unsere Erfahrungen:
Was bei uns gut funktioniert hat – und was (noch) nicht.
Wie wir mit Ängstlichkeit, Rückfällen, Spiel & Struktur umgehen. Und welche Rolle Vertrauen dabei spielt – lange bevor Training überhaupt möglich ist.
👉 Wenn du dich fragst: „Wie erziehe ich einen Hund aus dem Tierschutz?“ – hier findest du ehrliche Einblicke und praktische Tipps.
🟦 1. Vertrauen vor Training – Warum Erziehung bei Tierschutzhunden anders ist
Viele unterschätzen, wie grundlegend anders die Erziehung eines Hundes aus dem Tierschutz funktioniert.
Denn bevor es um Sitz, Platz und Bleib geht, steht etwas viel Wichtigeres im Raum: Vertrauen.
Ich bin ein großer Fan von Hundetrainer Daniel Joeres und seinem Buch Artgerechte Hundeerziehung geworden. Seine Grundhaltung deckt sich stark mit dem, was wir mit Simba erlebt haben:
Die wichtigste Grundlage für das Zusammenleben zwischen Hund und Mensch ist nicht das Üben von Kommandos – sondern eine stabile, vertrauensvolle Beziehungsebene, auf der sich Bindung entwickeln kann (vgl. Joeres 2021, S. 25 f.).
Natürlich machen Übungen wie Rückruf oder Leinenführigkeit auf Sachebene Sinn – doch ohne Beziehungsbasis greifen sie oft nicht richtig. Genau das haben wir mit Simba erlebt.
Bevor wir überhaupt mit klassischen Kommandos arbeiten konnten, mussten wir sein Vertrauen gewinnen.
Ein Hund aus dem Auslandstierschutz hatte vielleicht nie feste Bezugspersonen – oder hat im Gegenteil schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht. Selbst das Einfangen und Versorgen durch engagierte Helfer:innen ist aus Sicht des Hundes meist keine positive, sondern eine bedrohliche Erfahrung. Er weiß nicht, dass man ihm helfen will – er spürt nur Unsicherheit, Stress, Enge.
Damit ein solcher Hund dir überhaupt folgen will, muss er dich erst als verlässlichen Sozialpartner erleben – jemand, der Orientierung bietet und zugleich klar und ruhig führt.
Diese Beziehung aufzubauen braucht Zeit, Geduld und vor allem: Präsenz.
Genau hier haben wir mit klassischen Hundeschulen unsere Erfahrungen gemacht.
Viele setzen diese Beziehung stillschweigend voraus – aber bei einem Tierschutzhund ist sie oft noch gar nicht da. Das sorgt für Missverständnisse, Überforderung – und im schlimmsten Fall für Rückschritte.
📚 Quellenhinweis:
Joeres, Daniel (2021): Artgerechte Hundeerziehung. Cadmos Verlag.
2. Die ersten Wochen: Keine Kommandos, sondern Beziehung!
Wenn dein Hund aus dem Tierschutz bei dir ankommt, ist er meist vor allem eines: gestresst, verunsichert – und orientierungslos.
Im Gegensatz zu dir weiß er nicht, warum er hier ist, wer du bist oder dass er nun in Sicherheit ist.
Der Transport war belastend, vielleicht kam er direkt aus einem Shelter oder einer Pflegestelle – doch das Einzige, was er mitbringt, ist sein bisheriges Überlebenswissen.
Und das bedeutet: Kommandos sind jetzt zweitrangig.
Was dein Hund in dieser Anfangszeit braucht, ist vor allem eins:
Grundsicherheit. Und was du brauchst, ist Empathie.
Denn: Du kannst ihm nicht erklären, dass er jetzt für immer bei dir bleiben darf. Du kannst es ihm nur zeigen – durch Ruhe, Nähe, Rituale, Wiederholung.
Beobachte genau, was deinem Hund leichtfällt – und was nicht. So findest du heraus, wo eure nächsten gemeinsamen Lernfelder liegen.
👉 Bei Simba haben sich viele Dinge erstaunlich schnell gelöst – andere begleiten uns bis heute.
Er musste zuerst einmal die absolute Basis erlernen:
- In einer Wohnung sein (Simba kannte nur Draußen und den Shelter-Käfig),
- durch Türen gehen,
- sich anleinen lassen,
- ein paar Schritte Gassi gehen,
- Treppen steigen.
Viele dieser Dinge hat er in wenigen Tagen verstanden. Doch gleichzeitig zeigte sich, wovor er Angst hatte: laute Geräusche, Menschen, Fahrräder, Kinderwägen…
Genau diese Beobachtungen wurden zur Basis, mit der wir später arbeiten konnten.
Damit du deinen Hund in dieser Zeit richtig einschätzen kannst, ist es hilfreich, dich mit der hündischen Körpersprache auseinanderzusetzen.
Wie Daniel Joeres beschreibt, kommunizieren Hunde vor allem nonverbal – über Körperspannung, Blickrichtung, Bewegungsfluss, Lautlosigkeit oder Rückzug (vgl. Joeres 2021, ab S. 77).
Diese „Sprache“ zu lesen ist der Schlüssel, um deinen Hund zu verstehen – lange bevor du von ihm „Sitz“ erwarten kannst.
💡 Und trotzdem – gerade in dieser ersten Phase lassen sich schon grundlegende Regeln etablieren.
Denn auch wenn dein Hund gestresst ist, beobachtet er genau: Was gilt hier? Wer bestimmt? Was darf ich, was nicht?
Darf er aufs Sofa, aber nicht ins Bett? Soll er bei der Tür warten oder gleich durchgehen?
Dann macht genau das von Anfang an klar und verlässlich.
Bei Simba war spürbar, dass er sofort versucht hat, die Regeln im neuen „Rudel“ zu verstehen.
Diese natürliche Neugierde ist eine große Chance – nutzt sie, um mit ruhiger Klarheit eure Rahmenbedingungen zu setzen. Nicht autoritär, sondern liebevoll – aber konsequent.
Denn Beziehung heißt nicht Beliebigkeit. Und Regeln bedeuten nicht Härte.
Sie geben Halt – gerade für Hunde, die bisher keinen hatten.
📚 Quellenhinweis:
Joeres, Daniel (2021): Artgerechte Hundeerziehung. Cadmos Verlag.
3. Angst draußen beim Spaziergang – Reize, Trigger & Raum geben
Eine der größten Herausforderungen mit Simba in den ersten Wochen war ganz klar: die Angst draußen.
Er hatte Angst vor fast allem, was sich bewegt oder ungewohnt klingt: Fahrräder, Mülltonnen, Kinderwägen, Menschen, Autos, Lieferwagen… Manchmal blieb er wie eingefroren stehen, manchmal legte er sich flach auf den Boden. Und manchmal wollte er nur noch weg – so schnell wie möglich.
Was wir dabei gelernt haben: Es gibt keine perfekte Strategie, aber es gibt Prinzipien, die helfen. Und Geduld ist das wichtigste davon.
3.1. Sicherheit – im wörtlichen Sinne hier deine Überschrift ein
Solange dein Hund draußen noch schreckhaft oder panisch reagiert, ist eine gute Sicherung entscheidend – auch für deinen eigenen Seelenfrieden.
Wir hatten Simba in den ersten Wochen doppelt gesichert:
Eine Leine am Halsband in der Hand
Eine zweite am Geschirr, befestigt an einem Bauchgurt
So konnte er nicht entwischen – selbst wenn er sich erschrocken losreißen wollte. Diese doppelte Sicherung brauchten wir nicht lange, aber in kritischen Momenten war sie Gold wert.
3.2. Die Balance: Nicht durchziehen – nicht ausweichen
Ein häufiger Fehler bei Angst ist, entweder den Hund durch die Situation zu ziehen – oder sie komplett zu vermeiden. Beides kann kontraproduktiv sein.
Besser: Bleib bei deinem Hund – und halte die Spannung aus.
Beispiel: Deine Hündin sieht einen Kinderwagen und friert ein.
Du gehst einen halben Meter voraus, lässt die Leine leicht gespannt – nicht straff, aber spürbar. Du signalisiert: „Ich gehe weiter. Alles ist gut.“ Dann wartest du. Vielleicht 30 Sekunden. Vielleicht zwei Minuten. Wenn dein Hund sich bewegt – selbst nur ein paar Zentimeter – lobst du ihn in den Himmel.
Manchmal hilft auch ein kurzer, sanfter Leinenimpuls – nicht als Zwang, sondern als Ermutigung: „Du kannst das.“
Das klingt banal – aber genau diese kleinen Schritte, immer wieder geübt, waren bei uns der Schlüssel.
3.3. Wiederholung macht Mut
Wir haben Situationen wie diese immer wieder geübt – in kleinen Dosen, an unterschiedlichen Orten, in Simbas Tempo.
Das war oft anstrengend. Besonders, wenn man sich beobachtet fühlt, es regnet oder man eigentlich einen Termin hat.
Aber: Genau hier entsteht Vertrauen.
Heute geht Simba an den meisten seiner früheren „Angstmacher“ einfach vorbei.
Und wenn er doch mal zögert, schaut er uns an – weil er weiß: Wir sind da. Wir regeln das.
🎥 Unser Extra-Tipp
Ein Video, das uns damals besonders geholfen hat, stammt von einer Hundetrainerin, die das Thema Angst beim Spaziergang sehr klar erklärt. Vielleicht hilft es auch dir:
👉 YouTube-Link: Angst beim Spaziergang – was tun?
💬 Ein Gedanke an alle, die ähnliche Situationen erleben:
Geduld, Präsenz und sanfte Führung sind kein Zaubertrick – aber oft das einzige, was wirklich wirkt.
Und ja: Es ist anstrengend. Aber mit jedem kleinen Erfolg wächst das Vertrauen. In dich. In die Welt. Und ins gemeinsame Unterwegssein.
4. Toben oder Respektverlust? Warum Spiel Vertrauen stärkt
„Wenn du mit deinem Hund herumtobst, nimmt er dich nicht mehr ernst.“
Diesen Satz hört man öfter – und er hält sich hartnäckig.
Unsere Erfahrung (und das, was z. B. auch Hundetrainer Daniel Joeres betont): Genau das Gegenteil ist der Fall.
Denn eine positive Beziehung – also echte, verlässliche Bindung – ist die Basis für alles, was ihr gemeinsam lernt.
Regeln, Grenzen, Kommandos? Klar, die gehören dazu. Aber sie entfalten ihre Wirkung erst dann richtig, wenn dein Hund dich als positiven, berechenbaren Sozialpartner wahrnimmt.
Und genau das passiert auch – oder sogar besonders – im gemeinsamen Spiel.
Wie Maren Grote in ihrem Buch Hunde lesen lernen beschreibt, ist Spiel unter erwachsenen Hunden ein Ausdruck von Nähe und Zugehörigkeit – und kein bloßer Spaßfaktor (vgl. Grote 2022, S. 145).
Auch Daniel Joeres beschreibt Spiel als elementaren Bestandteil einer gesunden Mensch-Hund-Beziehung: Es fördert Bindung, schafft Vertrauen und unterstützt Kommunikation (vgl. Joeres 2021, S. 113).
🎯 Und was ist mit Respektverlust?
Spielen bedeutet nicht „Anarchie“.
Im Gegenteil: Wenn du Spielphasen bewusst einleitest und auch wieder beendest, bleibt die Orientierung für deinen Hund erhalten.
Wie Joeres erklärt, werden auch im natürlichen Hunderudel während des Spiels Hierarchien temporär aufgehoben. Es wird gerauft, gebellt, sich gegenseitig gejagt. Doch wenn der ranghöhere Hund das Spiel beendet, ist die Ordnung wiederhergestellt (vgl. Joeres 2021, ab S. 121).
Und genau das kannst du mit deinem Hund üben.
🐾 Wie das bei uns aussieht – ein Beispiel mit Simba
Mittlerweile darf Simba an vielen Orten frei laufen – und unser Spiel folgt einem klaren Ritual.
Wir stehen gemeinsam auf einer Wiese. Ich lasse ihn „Sitz“ oder „Platz“ machen. Dann stelle ich mich aufrecht vor ihn. Er fixiert mich – er weiß, was jetzt vielleicht kommt.
Dann gehe ich leicht in die Knie, neige den Oberkörper nach vorne und mache einen kleinen Sprung auf ihn zu.
Für ihn ist das das Startsignal: Jetzt beginnt das Spiel.
Dieses Körpersignal ähnelt übrigens dem Spielverhalten unter Hunden – auch sie beugen sich mit dem Vorderkörper vor, um den anderen zur Interaktion einzuladen (vgl. Joeres 2021, ab S. 146).
Dann beginnt unser „Jagdspiel“ – passend zu Simbas Hütehund-Natur.
Er bellt, springt, fordert mich heraus. Dinge, die im Alltag tabu sind – aber im geschützten Spiel ihren Raum haben.
Am Ende kommt der Cut: „Simba, bleib – Sitz.“
Und er macht es. Ruhig. Sofort.
Das Spiel ist vorbei – und die Ordnung ist zurück.
💡 Und wenn euer Hund noch nicht freiläuft?
Kein Problem!
Ihr könnt auch im Garten, auf einer eingezäunten Wiese oder an der langen Leine gemeinsam spielen. Wichtig ist nicht, wie spektakulär das Spiel ist – sondern dass es zu euch passt.
Toben, Zerrspiele, sanftes Balgen, gemeinsames Rennen oder verstecken – erlaubt ist, was eurem Naturell entspricht.
Der Wechsel von Ruhe zu Action – und wieder zurück – ist eine der besten Übungen für Vertrauen, Aufmerksamkeit und Führung.
Und dein Hund?
Wird dich nicht weniger ernst nehmen. Sondern mehr. Weil er merkt:
Du bist nicht nur verlässlich. Du bist auch richtig cool.
5. Belohnung & Grenzen: Was bei uns funktioniert hat
Viele denken bei Hundetraining zuerst an Kommandos, aber aus unserer Erfahrung beginnt gute Erziehung mit etwas anderem:
Mit klarer Kommunikation. Und die funktioniert beim Hund vor allem über Körpersprache, konsistente Signale – und die richtige Balance aus Belohnung und Grenzen.
5.1. Lob: Klar, wiedererkennbar und wirksam
Von Anfang an haben wir ein einziges, eindeutiges Lobwort etabliert: Super.
Nicht „Fein!“, „Brav!“ oder „Toll!“ im Wechsel – sondern immer: Super.
Denn nur so kann der Hund das Lob verlässlich verknüpfen.
Anfangs gab’s auf jedes „Super“ auch ein Leckerli.
Mit der Zeit haben wir das Leckerli hin und wieder weggelassen – aber das Lob blieb.
Was passiert? Im Gehirn entsteht trotzdem das bekannte Belohnungsgefühl – das Prinzip nennt sich konditionierte Reaktion (vgl. Cash 2021, S. 113 ff.).
Das heißt: Auch ohne Futter bleibt das Gefühl positiv verankert.
5.2. Körpersprache: Aufrecht, zugewandt, klar
Hunde lesen unseren Körper besser als unsere Worte.
Wenn ich Simba frontal, aufrecht und leicht gespannt gegenüberstand, wusste er sofort: Jetzt ist Aufmerksamkeit gefragt.
Auch bei den Kommandos haben wir schnell gemerkt: Gesten wirken oft besser als Worte.
Simba hat zum Beispiel gelernt, dass meine offene, zugewandte Hand das Signal für „Sitz“ bedeutet – heute genügt meist die Geste allein.
👉 Körpersprache ist die Muttersprache des Hundes – sie ist intuitiv, eindeutig und viel näher an seiner Kommunikationsweise als jedes gesprochene Wort (vgl. Joeres 2021, S. 69 ff.).
5.3. Übung beenden? Nur mit Auflösekommando
Ein Fehler, den viele machen: Der Hund entscheidet, wann die Übung vorbei ist.
Wir haben früh ein Auflösekommando eingeführt – bei uns: Ok.
Beispiel:
Simba geht ins „Sitz“. Wir loben („Super“), eventuell mit Leckerli.
Dann bleibt er – so lange, bis das „Ok“ kommt.
Steht er vorher auf? Dann fordern wir das „Sitz“ ruhig neu ein – und lösen erst dann auf. So lernt er: Nicht ich beende die Übung – sondern meine Menschen.
Das gleiche Prinzip nutzen wir beim Füttern:
Napf hinstellen, aufrechte Körperhaltung, erhobene Hand – Simba bleibt ruhig.
Dann: Ok! – und er darf zum Napf.
Diese Rituale geben Klarheit und fördern Selbstkontrolle.
5.4. Alltagstaugliche Kommandos: Was uns wirklich geholfen hat
Nicht jedes Kommando ist Pflicht. Aber die richtigen Kommandos zur richtigen Zeit können Alltag und Spaziergang enorm erleichtern.
- „Komm“ haben wir anfangs als Spiel geübt: Simba durfte zwischen Manu und mir hin- und herrennen. Für ihn war das einfach ein lustiges Spiel mit seinen Menschen – für uns war’s das beste Training fürs Rückrufen.
- „Bei“ war für uns ein echter Gamechanger: Simba läuft ruhig und locker neben uns, die Leine bleibt entspannt. Gerade bei Hundebegegnungen oder in unübersichtlichen Situationen ist dieses Kommando Gold wert.
5.5. Weniger ist mehr – aber regelmäßig
Erwartet bitte nicht zu viel auf einmal.
Lieber täglich 10 Minuten – dafür mit echtem Fokus, Spaß und Ruhe.
Wir haben vieles ganz spielerisch geübt – mit Bewegung, Freude und Neugier.
Denn Lernen darf (und soll!) auch Leichtigkeit haben. Und dein Hund spürt, wenn du mit Herz dabei bist.
📚 Quellenhinweise:
Joeres, Daniel (2021): Artgerechte Hundeerziehung. Cadmos Verlag.
Cash, Adam (2021): Psychologie für Dummies, 3. Auflage, Wiley-VCH.
6. Stubenreinheit & Leinenführigkeit – Unser Weg Schritt für Schritt
Zwei Themen, die viele Menschen mit einem Tierschutzhund beschäftigen:
Wird mein Hund stubenrein? Und: Wie bringe ich ihm bei, an der Leine zu laufen?
Die gute Nachricht:
Ja, das geht – Schritt für Schritt, mit Geduld, Ruhe und kleinen Erfolgen.
6.1. Stubenreinheit - Was uns geholfen hat
Simba war knapp ein Jahr alt, als er zu uns kam – und er hatte vorher nie klare Regeln kennengelernt, wo er sich lösen darf.
Trotzdem hat er von Anfang an schnell verstanden, dass „draußen“ der richtige Ort ist.
Unsere Herausforderung war weniger die Stubenreinheit selbst – sondern die Anspannung draußen.
Simba war so aufgeregt und nervös, dass er sich draußen manchmal gar nicht lösen konnte.
Dann kam’s vor, dass er erst drinnen zur Ruhe kam – und sich da dann endlich erleichtert hat.
Was geholfen hat:
Ruhige, immer gleiche Strecken gehen
Möglichst wenig Reize, die ihn ablenken oder stressen
Viel Geduld – einfach draußen bleiben, bis Entspannung möglich wird
Jeder Erfolg wurde gelobt – mit unserem Markerwort „Super“ und einem Leckerli
Wenn doch mal etwas drinnen passiert ist, haben wir es kommentarlos weggewischt.
Kein Schimpfen. Kein Frust. Einfach weitermachen.
Schon nach wenigen Tagen war klar: Er will es richtig machen.
Und nach etwa einer Woche war Simba in den allermeisten Fällen zuverlässig stubenrein.
6.2. Leinenführigkeit: Von Einfrieren, Zögern und kleinen Schritten
Auch an der Leine war für Simba vieles ungewohnt – und vor allem: überfordernd.
Die Geräusche, Gerüche, Bewegungen – alles war zu viel.
Die ersten Spaziergänge waren entsprechend kurz:
10 Meter raus
Einfrieren
Dann irgendwann fluchtartiges Zurücklaufen
Wir haben es ganz ruhig angegangen:
Doppelte Sicherung (Leine am Halsband + Geschirr mit Bauchgurt) für unser eigenes Sicherheitsgefühl
Mini-Spaziergänge – 2 Minuten raus, 2 Minuten zurück
Kein Zwang, kein Ziehen, kein Überreden – sondern ruhiges Aushalten der Situation
Dann haben wir schrittweise angefangen, Leinenführigkeit aufzubauen.
Unser wichtigstes Kommando war „bei“ – bedeutet: ruhig, mit lockerer Leine neben uns gehen, Aufmerksamkeit bei uns.
Wir haben das anfangs in reizarmen Umgebungen geübt – mit viel Lob für jede kleine Lockerung der Leine.
Wenn’s zu viel wurde: Pause, abbrechen, später wieder probieren.
Heute läuft Simba meist ruhig, konzentriert und gerne an der Leine.
Nicht perfekt – aber mit Freude, und in Verbindung mit uns. Und das ist für uns das Wichtigste.
7. Unsere Rückfälle – und warum sie dazugehören
Wenn man einen Hund aus dem Tierschutz adoptiert, wünscht man sich oft:
Stetige Fortschritte.
Und wenn das mal nicht klappt – glaubt man schnell: „Wir haben etwas falsch gemacht.“
Genauso ging es uns.
Simba hatte anfangs tolle Fortschritte gemacht. Plötzlich lief er ruhiger an der Leine, konnte besser entspannen, hatte weniger Angst.
Und dann – ganz unerwartet – wirkte er wieder ängstlich, nervös, überfordert.
Er schreckte vor Dingen zurück, die ihn zuvor nicht interessiert hatten. Manche Spaziergänge waren plötzlich wieder eine Herausforderung.
🔁 Rückschritte gehören zur Entwicklung
Was wir inzwischen wissen:
Rückfälle sind ganz normal. Sie gehören zur Entwicklung deines Hundes dazu – besonders bei Tierschutzhunden.
Das Verhalten deines Hundes verläuft nicht linear.
Es ist kein glatter Lernprozess – sondern ein Weg mit Kurven, Pausen, manchmal auch mit kleinen Umwegen.
Oft liegt der Grund nicht in dem, was du gerade tust – sondern in Dingen, die du nicht wahrnimmst:
-
Ein Hintergrundgeräusch, das du nicht bewusst hörst
-
Ein Geruch, der deinen Hund beunruhigt
-
Ein innerer Stresspegel, der sich gerade aufbaut
🧠 Stress wirkt verzögert – und bleibt im Körper
Was viele nicht wissen: Stress wirkt beim Hund oft nach.
Auch wenn eine Situation vorbei ist, kann der Körper deines Hundes noch Tage später im Alarmzustand sein.
Wir haben das nach unserem ersten kleinen Urlaub mit Simba erlebt.
Unterwegs lief alles super – neugierig, aufmerksam, entspannt.
Doch zu Hause war er plötzlich wieder schreckhaft und unruhig.
Erst später wurde uns klar: Auch „positiv aufregende Erlebnisse“ können das Nervensystem überfordern.
Die Anspannung zeigt sich dann oft zeitversetzt – und hält länger an, als man denkt.
👉 Studien und Trainer:innen gehen davon aus, dass Stress bei Hunden bis zu einer Woche im Körper nachwirken kann – selbst wenn der Auslöser längst vorbei ist (vgl. Hunde-Team.at, 2022: „Stress lass nach – nur wie lange dauert das?“).
🧘♀️ Unser Rat: Akzeptieren, beobachten, ruhig bleiben
Wenn dein Hund also plötzlich wieder ängstlicher oder unruhiger ist:
-
Nimm’s nicht persönlich.
-
Bleib entspannt.
-
Beobachte ohne zu bewerten.
Frage dich:
-
Gab es in den letzten Tagen viele neue Eindrücke?
-
Gab es viel Kontakt mit fremden Menschen, Hunden, Umgebungen?
-
War dein Hund vielleicht überfordert, auch wenn er „funktioniert“ hat?
Manchmal hilft dann einfach:
Zurück auf Start. Weniger Reize. Mehr Ruhe. Mehr Sicherheit.
Und vor allem: Vertrauen, dass es bald wieder besser wird.
📚 Quelle:
Hunde-Team.at (2022): „Stress lass nach – nur wie lange dauert das?“
8. Hundeschule: ja oder nein?
Ehrlich gesagt: Wir waren anfangs überzeugt, dass eine Hundeschule das Richtige ist.
Struktur, Anleitung, soziales Lernen mit anderen Hunden – klang nach einem guten Plan.
Also haben wir mit Simba eine Hundeschule besucht.
Zehn Wochen lang.
Und dann festgestellt: Für uns war es nicht der richtige Weg.
🤷 Warum es für uns nicht gepasst hat
Simba war zu diesem Zeitpunkt noch sehr unsicher – vor allem draußen.
Die Gruppensituation hat ihn überfordert.
Andere Hunde, fremde Menschen, viele neue Reize auf engem Raum: Das war für ihn kein Lernumfeld, sondern purer Stress.
Auch die Herangehensweise einiger Trainer:innen war nicht auf Tierschutzhunde abgestimmt.
Manche Methoden setzten eine Bindung voraus, die wir damals noch gar nicht hatten.
Andere waren uns schlicht zu pauschal – ohne Rücksicht auf Simbas individuelle Geschichte.
Das führte dazu, dass wir uns beide unwohl fühlten – Simba und wir.
✅ Was uns stattdessen geholfen hat
Was sich für uns viel bewährter hat, war:
Alltagstraining. In kleinen Schritten. Im eigenen Tempo.
Übungen auf ruhigen Wegen
Wiederholungen in sicherem Umfeld
Vertrauensaufbau durch Spiel, Nähe und klare Regeln
Einzelne gezielte Übungen (z. B. Impulskontrolle, Rückruf, „Bei“ gehen)
Wir haben viel gelesen, beobachtet, ausprobiert – und dabei Simba als Persönlichkeit kennengelernt.
Das soll nicht heißen, dass Hundeschule grundsätzlich falsch ist – im Gegenteil.
Aber:
Die Hundeschule sollte zu euch passen.
Und sie sollte verstehen, dass ein Hund aus dem Tierschutz andere Bedürfnisse und ein anderes Lerntempo mitbringt.
💡 Unser Tipp
Wenn du eine Hundeschule in Erwägung ziehst, frag gezielt nach:
Hat das Trainerteam Erfahrung mit Tierschutzhunden?
Wird individuell auf den Hund eingegangen?
Gibt es ruhige, reizarme Lernumgebungen für den Einstieg?
Ist der Umgang gewaltfrei, positiv und bindungsorientiert?
Wenn ja – super.
Wenn nicht – ist es völlig okay, andere Wege zu gehen.
Denn am Ende zählt nicht der Ort, an dem du übst.
Sondern: Wie dein Hund sich dabei fühlt.